#Deutsche Heilung!

Text: Herb Buchlowski • Fotos: Rosa Licht

Kaufbeuren, Regierungsbezirk Schwaben, Freistaat Bayern, Deutschland, Europa, Erde, Oktober 1987

Das Fieberthermometer starrt breit durch die schmale Augenschlitze der Erwachenden. „Guten Morgen!“, tönt des Nachtschwesters Organ wie ein schriller Befehl durch die bleischwere Müdigkeit der Frischoperierten und Kranken. Es ist 5.50 Uhr.

 

Viele im Zimmer haben erst jetzt in Morgengrauen den lang ersehnten Schlaf gefunden. Just in diesem Augenblick beginnt die deutsche Heilung.

 

5.59 Uhr. Die Tür reißt es aus der üblichen Fassung. Fieberstäbe, die jetzt die exakte Temperatur der Patienten in sich tragen, verschwinden in den flinken Fingern der Krankschwester. Wumms! – die Tür ist zu. Wieder Ruhe.

 

6.30 Uhr. „Guten Morgen!“ brüllt die Reinigungskraft in den Saal der schon genervten Kranken. Lautstark stellt sie einen neuen Mülleimer unters Waschbecken. Den anderen, fast leeren Kübel nimmt sie mit. Ruhe. Die Vögel im Park pfeifen jetzt munterer, aber nicht lärmend. Der junge Tag entfaltet erste Farben.

 

7.00 Uhr. „Guten Morgen!“, ruft der freundliche Pfleger, „Guten Morgen!“ zwitschert die knitterfreie Praktikantin. Apathisch – wie auf Befehl – erheben sich die, um deren Wohl sich an diesem Ort alles dreht. Zehn Minuten lang flattern, wedeln und wieseln weiße Laken und Menschen durch das Zimmer. Die Kranken starren ungläubig. Gerädert legen sie sich nach der Prozedur des Bettenmachens wieder nieder.

 

7.15 Uhr. „Guten Morgen!“ schallt es, bevor kleine Plastikbecher voller Medikamente auf die Nachttische klacken. Rums! – die Tür ist wieder zu.

 

7.30 Uhr. Ein Rollkommando von Pflegern und Schwestern stapelt die Frühstückstabletts im Zimmer. Die Kranken fangen an zu essen. Zeit bis 8.00 Uhr.

 

Das Personal räumt ab – die Kranken flüchten unter ihre Decken. Denn sie wissen: Gleich kommt das Putzteam. Die Leidenden verharren still im Bett, das ab und an unter wuchtigen Schrubberstößen erzittert. Geschafft! 15 Minuten Zeit. Hastig eilt ein Patient nach dem anderen zum Waschbecken im Raum. Duschen gibt es keine. Jeder hat gefühlt 20 Sekunden für eine verschämte Morgenwäsche. Die Leidgenossen drehen sich während der Prozedur empathisch auf die andere Seite. Fertig! Alle liegen wieder im Bett, als der Pulschlag – durch die morgendliche Hektik in Wallung geraten – abgezählt wird.

 

Endlich Ruhe. Längst vergessene Traumbilder ziehen am Horizont des lieblichen Schlummers auf, Sphären-Klänge zerstieben den Schmerz der frischen Narben. Doch plötzlich. Ein Erdbeben? Das Bettgestell rüttelt brutal. Das Putzteam poliert das ohnehin blitzblanke Chromgestänge. Die Kranken sind paralysiert. Wieder dösen sie ein.

 

„Guten Tag! – ich bin der Narkosearzt!“ stellt sich ein Mann vor. „Ja und?“, denkt sich der hochgeschreckte Patient. „Ich erkläre Ihnen jetzt die Betäubung für Ihren Harnröhrenschnitt“ spricht der Doktor weiter. Hellwach und mit erschrockenem Gesicht fragt der Kranke: „Was für ein Harnröhrenschnitt?“. Der vormals freundliche Herr wird schnippisch: „Nun, ich bin nicht dazu da, ihnen Ihre Operation zu erklären“. Die sind gnadenlos. „Aber ich bin doch gestern an der Nase operiert worden“, keucht der bis zur Blase erschrockene Patient. Der Typ raunzt: „Wer sind Sie denn eigentlich.“ Brav nennt der Patient seinen Namen und bleibt mit seinem Schreck alleine.

 

Nur für kurze Zeit. Die Medikamentenfrau klackt erneut ihre Plastikbecher auf die Nachttische. 15 Minuten später gibt es Mittagessen. Weitere 30 Minuten später sind die Tischchen wieder abgeräumt.

 

Dann 11.45 Uhr: Die Fieberthermometer kommen. 12 Uhr: Die Dinger werden wieder abgeholt. 12.30 Uhr: Zeit für unruhigen Schlaf. Nur Kurz. Pfleger oder Schwestern schauen vorbei. Und jedes Mal: Rumms!

 

Patienten verschwinden. Sie werden später blutend und stöhnend wieder hereingeschoben. Die Bettenteufel kommen nochmals. Besucher schauen nach ihren Lieben. Irgendwo beginnt ein Presslufthammer mit seiner Arbeit. Schwestern zanken sich im Flur. Düsenjets proben den Überschallflug. Und der Kranke hofft auf seine Heilung. Nur so kann er weg aus diesem deutschen Krankenhaus.

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